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Der Tannenbaum, zumeist in Mono-Plantagen über Jahre herangezogen, wird seit mehreren Jahren von Umwelt- und Klimaschützern kritisch beäugt. Doch biologisch gibt es durchaus Argumente für diese umstrittenen Plantagen, bieten sie doch ein besonderes Zuhause für viele Tier- und Pflanzenarten.
Tanne on Tour
Pia Heinemann schreibt dazu in der FAZ am 1. Dezember 2024 folgenden Beitrag:
Tannen, Douglasien und Fichten sind gerade wieder mobil, werden gefällt, verschnürt und durch die Gegend gefahren. Kein Weihnachtsmarkt ohne zentrales Nadelgehölz, in dieser Woche ist sogar eine 26 Meter hohe Fichte aus dem Harz vor dem Berliner Reichstag aufgestellt worden. The same procedure as every year!
Fast. Denn die Bäume haben längst nicht mehr das Format von einst. die Reichstagsfichte etwa ist mit 26 Metern vier Meter kleiner als die im vergangenen Jahr. Es sei halt schwierig, im deutschen Wald noch schöne große Nadelbäume zu finden, so die Landesforsten. Das deckt sich mit einer Weihnachtsbaum-Story, die jenseits des Atlantiks spielt. In den Vereinigten Staaten wurden mit Pferden und Kutsche ein sechs Meter hoher Weihnachtsbaum zur First Lady geliefert. Seit bald sechzig Jahren schreibt die Nationale Weihnachtsbaumvereinigung einen Wettbewerb aus – und er gewinnt, darf einen Nadelbaum ins Weiße Haus schicken. Auch der diesjährige baum erzählt eine Geschichte von ungünstigen Umweltbedingungen, denn er stammt aus North Carolina, wo Sturm Helene vor zwei Monaten für Verwüstungen gesorgt hatte. Jill Biden erklärte, dass die Familie Cartner bei dem Unwetter tausende Bäume verloren habe. Nur diese eine Tanne sei stehen geblieben. Nun wurde sie aus der Einsamkeit befreit, um einen Lebensabend im Blue Room des Weißen Hauses zu fristen.
Das Weihnachtsbäume für ökologisch superbewusste Menschen ein No-Go sind, ist klar. Sie werden in Plantagen gezüchtet, nach wenigen Jahren abgeholzt, mit Lastern durch die Republik gekarrt und landen nach zwei, drei Wochen auf dem Weihnachtsbaummüll. Doch gerade in der dunklen Winterzeit, die angesichts der aktuellen Weltlage noch etwas düsterer ist als sonst, kann ein Baum im Wohnzimmer auch Geborgenheit spenden.
Wer eine weitere Rechtsfertigung für das sentimentale Grün benötigt, dem sei eine Studie ans Herz gelegt, die von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt finanziert und vor zwei Jahren in den Annals of Applied Biology publiziert wurde. Untersucht wurde darin, wie sich Weihnachtsbaum-Baumschulen auf die umliegenden Ökosysteme auswirken. Das einigermaßen überraschende Ergebnis: In unserer ausgeräumten Agrarlandschaft sind sie geradezu ein Hotspot der Biodiversität! Nicht nur finden viele Käfer, Spinnen, Asseln und Co hier ein Rückzugsgebiet. Die Tannenplantagen sind für Agrarlandvögel wie Bluthänfling (Linaria cannabina), Baumpieper (Anthus trivialis), Heidelerche (Lullala arborea) und Goldammer (Emberiza citrinella) geradezu eine Wellnes-Oase. Sie leben und nisten gerne in Baumschulen mit noch kleinen, jungen Bäumen und viel nackten Boden dazwischen. Anders als in den umliegenden Feldern und Siedlungen finden die Vögel hier Nahrung und Ruhe.
An dieser Stelle sei auch Bjarte Jordal zitiert. Der Insektenforscher von der Universität Bergen hatte vor zwölf Jahren Weihnachtsbaumfreunde nachhaltig verstört, in dem er die Zahl 25.000 in die Welt setzte. So viele Springschwänze, Milben, Spinnen, Zecken und anderes Getier können in einem einzelnen Weihnachtsbaum leben. Immerhin beruhigte Jordal damals mit dem Insekten-Insiderwissen: Man müsse keine Angst davor haben, dass diese Weihnachtstierchen flugs die Wohnung okkupierten. Sie blieben lieber im Heimatbaum sitzen, sagte er damals. Ob der Insektenfreund sich einen baum ins Zimmer stellt, ist nicht bekannt. Aber wem das alles zu viel des Guten ist, der kann sich an Holger Schwering ein Beispiel nehmen. Der Baumkletterer hatte die Reichstagsfichte für den Transport fir gemacht – und dabei gesagt, er selbst bevorzuge einen künstlichen Weihnachtsbaum. „Ich finde, es werden schon genug Bäume gefällt.“
Landschaftsökologe: Weihnachtsbaum-Plantagen sind ökologisch sinnvoll
Am 12. Dezember 2019 schrieb Deutschlandfunk Nova diesen Beitrag zum Thema:
Weihnachtsbaum-Monokulturen stehen in der Kritik – aber sie sind auch ökologisch sinnvoll, sagt Landschaftsökologe Thomas Fartmann. Unter anderem sind sie wichtige Lebensräume für bedrohte Vogelarten wie die Heidelerche.
Seit wir wissen, dass die Plastikbaum-Alternative auch keine Lösung ist, schauen wir wieder auf den echten Baum. Hier stellt sich beispielsweise die Frage: Geschlagen oder mit Wurzel? Oder: Wieder einpflanzen oder Wiederverwerten? Hat alles Vor- und Nachteile.
Ebenfalls in der Kritik steht der Anbau der Weihnachtsbäume auf Monokultur-Plantagen.
Weihnachtsbaum-Monokultur-Plantagen sind gut für die Artenvielfalt
Thomas Fartmann ist Professor für Landschaftsökologie an der Uni Osnabrück und hat sich jüngst in einer Studie mit dem konventionellen Weihnachtsbaum-Anbau im Sauerland beschäftigt. In dieser Region gibt es besonders viele Weihachtsbaum-Monokulturen.
Der Landschaftsökologe hat viele Argumente, warum die Monokulturplantagen gar nicht so schlimm sind. Im Gegenteil, sagt er, sie haben auch zahlreiche Vorteile.
- Weihnachtsbaumkulturen sind im Vergleich zu konventionellen Ackerflächen besser, weil darauf nur einjährige Kulturen angebaut werden. Dort kommen in der Regel mehr Pestizide und Herbizide zum Einsatz, weil sich die Pflanzen innerhalb kürzester Zeit gegen andere durchsetzen müssen. Außerdem werden hier auch Insektizide eingesetzt. Die spielen auf Weihnachtsbaumkulturen keine Rolle.
„Herbizide werden auf Weihnachtsbaumplantagen in geringem Maß eingesetzt. Und das auch nur im Frühjahr und Herbst. Die Wirkung der Herbizide ist begrenzt.“
Thomas Fartmann, Landschaftsökologe an der Uni Osnabrück
- Weihnachtsbaumkulturen sind im Vergleich zu klassischen Wälder besser. Thomas Fartmann hält der Kritik, dass für Weihnachtsbaumkulturen andere Wälder gerodet würden, entgegen, dass es sich dabei meist um Fichtenforste handelt. Das sind ebenfalls Monokulturen, allerdings mit einer geringeren Artenvielfalt.
„Die lichten Strukturen bei Weihnachtsbaum-Plantagen sind gut für die Insekten, weil es sich dort schnell erwärmt. Außerdem wächst besonders im Sommer zwischen den Baumreihen eine Menge.“
Thomas Fartmann, Landschaftsökologe an der Uni Osnabrück
- Weihnachtsbaumkulturen bieten eine große Biodiversität, weil sich viele Insekten und seltene Vogelarten in den Plantagen wohlfühlen. Das liegt laut Thomas Fartmann daran, dass sie ein gutes Nahrungsangebot dort finden. Die offenen Vegetationsstrukturen der Bäume machten die Nahrung für die Vögel besonders leicht zugänglich. Auch das sei ein Vorteil.
„Die Vögel können sehr gut Jagen, sie sehen ihre Beute sehr gut. Das wäre etwas anderes, wenn wir hohe und dichte Vegetation wie im Wald hätten.“
Thomas Fartmann, Landschaftsökologe an der Uni Osnabrück
Für Thomas Fartmann ist klar: Weihnachtsbaum-Monokulturen sind für viele Arten ein guter Lebensraum und haben Vorteile gegenüber dem Fichtenforst oder Ackerflächen. Und weil sie nicht jedes Jahr komplett gerodet werden, sondern nur teilweise, bieten sie auch einen beständigeren Lebensraum.
Weihnachtsbaumplantagen: gute Mischung von Anbau und Entnahme
Thomas Fartmann erläutert die Intermediate Disturbance Hypothese, wonach es bei mittleren Störungsintensitäten die höchste Artenvielfalt gibt. Konkret heißt das: Auf Äckern, die jedes Jahr bewirtschaftet werden, leben nicht viele Tiere. Und auf Flächen, wo gar nichts gemacht wird, gibt es auch eine geringe Artenvielfalt. Weihnachtsbaum-Plantagen lägen bei den Störungsintensitäten genau in der Mitte, was gut für Artenvielfalt sei, so Thomas Fartmann.