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Viele Aquarianer glauben es zu wissen. Auch Hobbytaucher im Teich, Meer oder Ozean glauben es zu wissen. „Wasser hat keine Farbe!“ “ Wasser ist blau!“ Oder grün? Oder…?
Ulf von Rauchhaupt von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat den hier zitierten Beitrag verfasst:
Die Farben der Meere
Warum unter Wasser alles so unwahrscheinlich blau aussieht und es trotzdem ein Schwarzes, ein Gelbes und ein Rotes Meer gibt.
Welche Farbe hat Wasser? Die Antwort scheint davon abzuhängen, mit welchen Mengen der eigentümlichen Flüssigkeit man es zu tun hat. In der Sprudelflasche oder einer frisch eingelassenen Badewanne ist es augenscheinlich völlig transparent, mithin farblos. Bei Seen, Flüssen oder ganzen Meeren wird die Sache schon schwieriger. Viele Flüsse tragen die unterschiedlichsten Farben im Namen, vom Rio Tinto über den Weißen und den Blauen Nil bis zum Gelben Fluss. Beim Rio Colorado, dem „gefärbten“, konnten sich die spanischen Entdecker erst gar nicht auf eine bestimmte Farbe einigen – nur darauf, dass seine Fluten sicher nicht durchsichtig sind.
Ähnlich ist es beim Seewasser. Homer, dessen Epen „Ilias“ und „Odyssee“ oft am oder auf dem Meer spielen, nennt es mal „hell“ (glaukos), mal „weinfarben“ (oinops), aber nie „kyanos“, ein Farbwort, von dem unser „Cyan“ kommt und mit dem im Altertum unter anderem blaue Minerale charakterisiert wurden. Das mag nicht nur daran liegen, dass die alten Griechen Farbeindrücke sowieso eher nach ihren Helligkeitswerten klassifizierten. Ein Volk, das so viel mit dem Meer zu tun hatte, erblickte dort je nach Wetter und Tageszeit offenbar zu viel Unterschiedliches, um es nur einer Farbe zuzuordnen. Die See generell als „blau“ zu bezeichnen, kann nur dem einfallen, der sie nicht ständig vor Augen hat. Und wer verschiedene Meere befahren hat, der sieht dann noch einmal jeweils Verschiedenes. Daher gibt es ein Schwarzes, ein Rotes und sogar ein Grünes Meer. Als letzteres, als al-Bar al-Achdr, bezeichneten arabische Seefahrer mitunter den Atlantik.
Die Bläue der Luft
Mögen Gewässer also aus gutem Grund mit ganz verschiedenen Farbwörtern belegt worden sein, Wasser an sich, also die chemische Verbindung H₂O, ist tatsächlich blau. Das macht sich allerdings erst bemerkbar, wenn man größere Wassermengen vor sich hat.
Physikalisch steckt dahinter zweierlei. Zum einen ein ähnlicher Effekt wie jener, der den klaren Himmel blau erscheinen lässt. Das ist er deswegen, weil die Luftmoleküle Licht kleinerer Wellenlänge sehr viel stärker streuen. Die blaue Komponente des weißen Sonnenlichts hat kürzere Wellen, wird also sehr viel stärker gestreut als gelbes oder erst recht rotes Licht und kann daher unser Auge auch dann treffen, wenn wir nicht gerade genau in die Sonne schauen. Ohne spezielle Schutzbrille sollten wir das ohnehin nur dann tun, wenn die Sonne so knapp über dem Horizont steht, dass ihr Licht eine maximal dicke Atmosphärenschicht durchquert und dadurch hinreichend abgeschwächt wird. Dies geschieht durch besagte Streuung, die das blaue Licht aus der Sichtlinie zur Sonne herauskickt, das rote dagegen weit weniger behelligt. Genau deswegen erscheint die tiefe Sonne rot. Im Wasser sind es nun nicht die Moleküle selbst, die blaues Licht stärker streuen, sondern winzige Fluktuationen in ihrer Anzahldichte. Die Wellenlängenabhängigkeit dieser Streuung ist sogar etwas stärker als im Fall der Luft. Blaues Licht wird also unter Wasser noch effektiver aus der Sichtlinie zur Lichtquelle entfernt und in alle Richtungen verteilt.
Dennoch ist dieser Streueffekt isoliert nicht oft zu sehen. Ein Beispiel ist das Farbenspiel des „Morning Glory Pool“ (siehe erste Abbildung), einer geothermalen Quelle im Yellowstone National Park. Das Grün der tieferen Bereiche seines Schlundes rührt nicht etwa von einer entsprechend anderen Färbung der Wandung dort – die ist überall gleich gelb –, sondern sie ergibt sich aus Überlagerung dieses Gelbs mit dem gestreuten blauen Licht, dessen Anteil umso höher wird, je dicker die Wasserschicht ist, durch die der Betrachter blickt.
Größere Bedeutung für die Farbe reinen Wassers hat die Absorption. Wassermoleküle verschlucken sichtbares Licht, und zwar bevorzugt solches längerer, zum Roten tendierender Wellenlängen, denn deren Energien sind gerade so groß, dass sie die Wassermoleküle zum Schwingen und Rotieren anregen. Auch sehr kurze violette und ultraviolette Wellenlängen werden absorbiert. Doch dazwischen gibt es einen Spektralbereich, bei dem Wasser das Licht solcher Wellenlängen vergleichsweise wenig absorbiert. Dieser Spektralbereich, um etwa 450 Nanometer herum, ist gerade der blaue. Daher kommt blaues Licht unter Wasser am weitesten.
Die Schwärze der Tiefe
Aber nicht beliebig weit. Zwar schwächen Wasserschichten von bis zu einem Meter alle sichtbaren Wellenlängen in so geringem Maße, dass uns die Flüssigkeit vollkommen transparent erscheint. Je mehr Wasser aber zwischen der Lichtquelle und unseren Augen liegt, umso blauer wird alles – und umso dunkler. In 60 Meter Meerestiefe, dem Maximum dessen was sich selbst erfahrene und gut ausgerüstete Sporttaucher zutrauen sollten, gelangen nur noch etwa 30 Prozent des auf die Meeresoberfläche fallenden Blauanteils des Sonnenlichtes. Gelbes oder gar rotes Licht kommt faktisch nicht mehr bis hierhin. Die Unterwasserwelt hat einen manifesten Blaustich. Weiter unten bleibt dann auch von dem Blau immer weniger übrig, und es wird schnell finster. Bis in 300 Meter Tiefe dringt praktisch kein Tageslicht vor, egal welcher Farbe, photosynthesetreibende Organismen wie Prochlorococcus haben dort nichts verloren. In den meisten Ozeanen liegt darunter noch eine Wassersäule von vier oder fünf Kilometern, in denen ewige Dunkelheit herrscht, nur punktuell erhellt von Leuchtorganen der Tiefseeorganismen und zuweilen den Scheinwerfern eines Forschungs-U-Bootes.
Nun bestehen Gewässer nicht nur aus Wasser. Die Ozeane enthalten im Schnitt 3,5 Gewichtsprozent Salze (das Tote Meer sogar bis zu 28 Prozent). Doch auf die Farbe hat das keinen Einfluss. Gelöstes Salz erhöht die Lichtabsorption des Wassers zwar geringfügig, doch ist dieser Effekt nicht von der Wellenlänge abhängig. Trotzdem kann man das vielleicht schönste Unterwasserblau in einem Süßgewässer erleben: Die unwahrscheinlichen Farben, die Taucher scharenweise in das zwei bis vier Grad kalte Wasser der Silfra-Spalte auf Island locken, rühren allerdings nicht von dem mit nur 0,1 Prozent sehr geringen Salzgehalt. Es ist vielmehr die große Reinheit des jahrzehntelang durch Basaltschichten gesickerten Gletscherwassers.
Nur sehr wenige Gewässer auf der Erde sind derart sauber, soll heißen: frei von Schwebeteilchen. Diese haben auch ihren Anteil daran, dass verschiedene Meere, Flüsse und Seen verschieden aussehen. Der Gelbe Fluss im Norden Chinas etwa fließt durch ausgedehnte Lößebenen und schwemmt dabei massenweise gelbliche Erde mit. In Gletscherseen dagegen wirken sich vom Eis abgeschliffene Gesteinskrümel auf die Wasserfarbe aus. Die Steinmehlteilchen sind so leicht, dass sie lange brauchen, um sich am Seegrund abzusetzen, aber groß genug, um das Licht unabhängig von seiner Wellenlänge zu streuen, wobei tiefer schwebende Teilchen aufgrund der erwähnten Effekte geringere Rotanteile zu einem Betrachter am Ufer zurückwerfen, dem der See daher türkis erscheint.
Das Gelbe Meer hat seinen Namen erwartungsgemäß von jenem Sediment, das ihm der Gelbe Fluss zuführt. Ob aber die Namen des Schwarzen und des Roten Meeres auf färbende Inhaltsstoffe zurückgehen, ist durchaus zweifelhaft. Im Schwarzen Meer wurden zuweilen dunkle, unter Sauerstoffmangel gebildete Sedimente für den Namen verantwortlich gemacht, im Roten Meer „Algenblüten“ des Cyanobakteriums Trichodesmium erythraeum. Doch zumindest im Falle des Roten Meeres kursierten schon in der Antike verschiedene Etymologien, und neuerdings vermuten Altertumskundler, die Namen beider Meere leiteten sich von einer alten Assoziation der Farben Schwarz mit „Norden“ und Rot mit „Süden“ ab. Das Weiße Meer schließlich, das östlich von Skandinavien den europäischen Teil Russlands nach Norden begrenzt, heißt höchstwahrscheinlich schlicht deswegen so, weil es als einziges der vorneuzeitlichen Europäern bekannten Meere die längste Zeit des Jahres mit Eis bedeckt ist. Manchmal erklärt Geschichte sogar mehr als Physik.
Quelle: F.A.S.