Giftschlangen in Terrarium und Natur

Harald Knust
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Die Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde e. V. gibt auf ihrer Webseite sachkundige Hinweise zum Thema Terrarienhaltung:

„Von jeher wird der Mensch von Schlangen fasziniert. Häufig werden ihnen fälschlicherweise so menschliche Eigenschaften wie Falschheit, Hinterlist aber auch Klugheit nachgesagt. Der Terrarianer aber, der sich mit Schlangen befasst, weiß sie als äußerst interessante Terrarientiere zu schätzen. Ihre Lebensweise, ihr Beuteerwerb, ihre Fortpflanzung, kurz – alle ihre Verhaltensweisen erwecken großes Interesse. Eine besondere Faszination geht dabei von Giftschlangen aus. Entgegen den Behauptungen vieler Gegner der Haltung exotischer Tiere sei vermerkt, dass sich unter bestimmten Voraussetzungen diese Tiere durchaus auch als Terrarientiere eignen, wenn ihnen mit dem nötigen Respekt begegnet wird.

Wie die private Haltung aller wildlebenden Tiere zum Zwecke der Liebhaberei oder Forschung, verlangt auch die Schlangenhaltung ein hohes Maß an persönlicher Verantwortung gegenüber dem lebenden Tier und der Wohnumwelt. Die Haltung gefährlicher Reptilien, insbesondere von giftigen Schlangen, erfordert neben der artgerechten Tierhaltung auch besondere Vorkehrungen zur Vermeidung der möglichen Gefahren, die vom Umgang mit diesen Tieren ausgehen. Diese Gefahren betreffen sowohl den Halter selbst, als auch die im Umfeld der Schlangenhaltung lebenden Mitmenschen, wie Familienmitglieder, Nachbarn oder Besucher.

Deshalb sollten sich nur langjährig erfahrene Schlangenhalter mit gefährlichen Schlangen befassen … „

Die Schlangenflüsterin von Eswatini

In der Heimat von Giftschlangen leben Mensch und Tier im gemeinsamen Biotop. Nicht nur für die privaten Tierhalter von Giftschlangen ist der nachstehend zitierte Beitrag aus der F.A.S. von Laura Salm-Reifferscheidt (Text) und Nyani Quarmyne (Fotos) ein Aufsatz, den man gelesen haben sollte. Die Recherche wurde vom European Journalism Centre mit einem Global Health Journalism Grant unterstützt.

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Eine junge Boomslang, kurz vor dem Häuten. Das Gift dieser Baumschlange greift in die Blutgerinnung ein und wäre tödlich. Es wirkt aber so langsam, dass den Gebissenen meist genügend Zeit bleibt, sich im Krankenhaus ein Gegenmittel spritzen zu lassen.

Ohne Schlangen droht die Rattenplage. Wer aber im afrikanischen Königreich Eswatini, ehemals Swasiland, gebissen wird, muss um sein Leben bangen. Eine Frau will das nicht hinnehmen – und kämpft mit Haken und Zange.

Thea Litschka-Koen beugt sich über das Krankenhausbett und greift nach der geschwollenen Hand von Qiniso. Während sie die riesige Blase auf dem Handrücken begutachtet, erzählt der 36-jährige Patient: „Ein stechender Schmerz hat mich aufgeweckt, ich habe meine Hand geschüttelt und gespürt, wie etwas zu Boden fiel.“ Qiniso sah Blut zwischen Zeige- und Mittelfinger und vermutete einen Schlangenbiss. Sein Bruder brachte ihn in ein Krankenhaus in Manzini, einer Stadt im kleinen Königreich Eswatini, das zwischen Südafrika und Moçambique liegt und bis April 2018 Swasiland hieß. Zu Hause bei Qiniso fand man tatsächlich eine Moçambique-Speikobra in der Schublade einer Arbeitsbank, es ist eine der giftigsten Schlangen im südlichen Afrika.

„Ich habe noch nie in meinem Leben so starke Schmerzen gehabt. Es war, als ob mein Fleisch, meine Adern, sogar meine Knochen brannten“, sagt Qiniso. Im Krankenhaus bekam er ein Gegengift injiziert. Die Behandlung musste allerdings für einige Stunden unterbrochen werden, weil der Patient unkontrolliert zu zittern begann und am ganzen Körper einen Ausschlag entwickelte – Nebeneffekte des rettenden Antiserums. Das war vor drei Tagen. Seither sind Hand und auch Arm immer mehr angeschwollen. Thea Litschka-Koen erklärt ihm, das Gift der Schlange habe eine nekrotische Wirkung und er werde eine Operation brauchen, um das dadurch absterbende Gewebe wegzuschneiden. Leider gebe es in solchen Fällen kein Wundermittel.

Unwissen und Aberglaube verschärfen die Situation

Jedes Jahr werden weltweit rund fünf Millionen Menschen von einer Schlange gebissen. 2,7 Millionen dieser Bisse führen zu Vergiftungen, durch die 138.000 Menschen sterben und 400.000 bleibende Schäden davontragen: Manchmal sind Amputationen nötig, die Gebissenen erblinden oder leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Allerdings sind diese Zahlen nur Schätzungen, offizielle Statistiken gibt es selten. Die Problematik trifft überwiegend die arme, ländliche Bevölkerung Afrikas, Asiens und Südamerikas.

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Die Schwarze Mamba ist für Thea Litschka-Koen und Bongani Myeni ein fast normaler Notfall.

Oft mangelt es an medizinischer Infrastruktur, an bezahlbaren und wirksamen Gegengiften und an Ärzten, die Schlangenbisse richtig behandeln können. Unwissen und Aberglaube der Bevölkerung verschärfen die Situation. Vergiftungen durch Schlangenbisse wurden in der Vergangenheit nicht als ein globales Gesundheitsproblem betrachtet und erhielten kaum Aufmerksamkeit. Doch die Weltgesundheitsorganisation, kurz WHO, nahm sie 2017 auf die Liste der vernachlässigten Tropenkrankheiten und veröffentlichte 2019 eine ambitionierte Strategie, um die Zahl der Schlangenbisse und deren Folgeschäden bis zum Jahr 2030 zu halbieren.

Im Königreich Eswatini mit 1,2 Millionen Einwohnern kommt es jährlich zu 200 bis 400 Schlangenbissen, schätzungsweise zehn Prozent der Opfer sterben. In den vergangenen zehn Jahren hat das Land jedoch durch Aufklärung, Prävention und bessere Behandlungsmethoden große Fortschritte gemacht, und es könnte anderen betroffenen Ländern ein Vorbild sein. Zu verdanken ist das vor allem Thea Litschka-Koen. Sie war Teil der WHO-Arbeitsgruppe, die an der Entwicklung der Schlangenbiss-Strategie mitgewirkt hat. Dabei ist die 52-Jährige weder Ärztin noch Herpetologin, sondern Geschäftsführerin von Hotels und Restaurants im Nordosten Eswatinis.

Wie sie zur Schlangenflüsterin wurde

In ihrem Büro im Simunye Country Club steht ein Foto, auf dem ihr jüngeres Selbst eine Schwarze Mamba hält. Damals, das Foto wurde vor fünfzehn Jahren aufgenommen, erwachte ihre Faszination für die Reptilien. Ihr siebenjähriger Sohn sollte ein Schulprojekt über Schlangen machen, sie half ihm, durchstöberte das Internet und stolperte über die Website eines Herpetologen im benachbarten Südafrika, der Kurse zum Umgang mit Schlangen anbot. Sie meldete sich an – samt Ehemann, der sie zwar für wahnsinnig erklärte, sich dennoch überreden ließ. „Es war das Aufregendste, was ich seit Jahren gemacht hatte“, erzählt Thea, wie sie von allen genannt wird und die im Kurs als Einzige wagte, eine Schwarze Mamba einzufangen.

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Goodwill Msibi, der sie zu Hilfe rief, ist jetzt die Schlange los und erleichtert.

Das Foto ist der Beweis, ihr Mann ließ es gleich rahmen und zeigt es jedem. Wenige Tage später riefen die Ersten an, die eine Schlange in ihrem Haus gefunden hatten, Thea sollte vorbeikommen, um diese einzufangen. Jetzt klingelt ihr Telefon zu allen Tages- und Nachtzeiten. Vor allem in den Sommermonaten von September bis März, wenn der Regen fällt, die Temperaturen steigen, dann ist Schlangen-Saison, und es werden hunderte gefangen.

Theas Sohn, der panische Angst vor Schlangen hat, ist aus dem Haus, studiert, und seine Mutter hat über die Jahre mehr als vierzig Schlangenfänger ausgebildet, die ihr bei der freiwilligen Arbeit helfen. Sie werden gerufen, um Moçambique-Speikobras (Naja mossambica) aus Feldern oder Schlafzimmern zu entfernen, um die Gebänderte Kobra (N. annulifera) aus der Garage zu holen oder eine hochgiftige Boomslang aus dem Baum zu ziehen.

Auch für ungiftige Pythons und Braune Hausschlangen rücken sie an. Vor ein paar Tagen erst kam Thea dem Hilferuf eines Mannes nach, dem eine Puffotter über die Füße geschlittert war, als er auf der Toilette saß, und in der Lagerhalle einer Zuckerfabrik kletterte sie über klebrigsüße Berge einer Schwarzen Mamba (Dendroaspis polylepis) hinterher. Auch der nächste Fall sei „ein Mamba-Notruf“, sagt Thea, steht vom Schreibtisch auf, greift sich Gummistiefel, Schlangenhaken und -zange und einen schwarzen Mülleimer mit der Aufschrift „Danger, venomous snakes, do not open“ (Gefahr, Giftschlangen, nicht öffnen) aus einer Ecke ihres Büros. Bongani Myeni, der als Lagerverwalter im Simunye Country Club angestellt ist, begleitet sie. Der 32-Jährige ist ein exzellenter Schlangenfänger.

Das perfekte Schlangenland

Thea und Bongani fahren vorbei an Zuckerrohrplantagen, die von trockenem Buschland abgelöst werden. Von der asphaltierten Hauptstraße geht es über eine rote Erdpiste in Richtung der Hügelkette, die Eswatini von Moçambique trennt. Irgendwann erreicht das Team ein einfaches Gehöft, fernab vom nächsten Dorf. Thea schaut sich um: „Das hier ist perfektes Schlangenland.“ In dieser Gegend halten die Bauern ihre Tiere in der Nähe ihrer Hütten und Häuser. Das Viehfutter lockt Ratten und Mäuse an, die wiederum für Schlangen Leckerbissen sind.

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Mdududzi Gcina, 14, war vier Jahre alt, als ihn eine Moçambique-Speikobra erwischte. Um den Arm zu retten, waren mehrere Operationen nötig, und sein Fall bestärkte Thea darin, etwas gegen Schlangenbisse zu unternehmen.

Goodwill Msibi und sein fast neunzigjähriger Vater Elias warten bereits auf die beiden Schlangenfänger. Der alte Mann hat in seinem rostigen Wellblechschuppen eine Schwarze Mamba gesehen. Sein Sohn wollte sie töten, aber der Mut hat ihn verlassen, stattdessen rief er Thea an. „Das ist gut so“, sagt sie, jedes Jahr müsste man Leute begraben, die das versuchten. Die Schlange sei blitzschnell, unberechenbar und verteidige sich, wenn sie bedrängt werde. „Wenn man den Todesschlag nicht genau hinkriegt, dann sind die Chancen hoch, dass man gebissen wird.“ Deshalb machen sich Thea und Bongani sofort an die Arbeit und holen ihre Ausrüstung aus dem Auto. Als sie vorsichtig die Tür des Schuppens öffnen, seufzt Thea: Der Raum ist voller Kisten, dazwischen Stroh, Werkzeuge und die Spiralfedern einer Matratze, die Schlange könnte sich überall verstecken. Zusammen leeren sie den Schuppen, Stück für Stück, bis Bongani ruft: „Ich kann sie sehen!“ Eine hellgraue Schlange bäumt sich an der Rückwand auf. Mit Greifzangen ziehen die beiden geübten Fänger das Reptil näher zur Tür, halten es am Boden fest. Schließlich kann Thea, die vielleicht nicht sportlich schlank ist, aber ungemein flink, die Schlange greifen, mit einer Hand knapp unterm Kopf und mit der anderen am hinteren Ende, sie lässt das etwa zweieinhalb Meter lange Tier in den Eimer fallen, und Bongani drückt den Deckel drauf.

Es ist tatsächlich eine Schwarze Mamba, benannt nach der Farbe der Maulinnenseite. „Thea, Thea, danke! Jetzt ist mein alter Vater wenigstens wieder sicher“, ruft Goodwill aufgeregt und umschlingt die Frau fest mit beiden Armen. Und ihr steigen Tränen in die Augen: „Wenn hier in dieser abgelegenen Gegend jemand gebissen wird – es gibt keine öffentlichen Verkehrsmittel, der Krankenwagen würde Stunden brauchen –, wäre es ein Todesurteil.“

Ohne Schlangen droht die Rattenplage

Am nächsten Tag fährt Thea wieder Richtung Süden, dieses Mal mit einem Kofferraum voller Giftschlangen, die sie über die letzten Tage und Wochen gefangen hat und die jeweils in einem verschließbaren Rohr untergebracht sind. Ziel sind provisorische Bürocontainer am Wegesrand. Sie wurde gebucht, um Mitarbeitern einer Baufirma, die hier gerade eine Straße asphaltieren, den Umgang mit Schlangen und Erste Hilfe bei Bissen beizubringen. Im ganzen Land unterrichtet Thea Sicherheitsfirmen, Wasserwerke, Beamten, Feldarbeiter, Schüler und Dorfbewohner und beginnt ihren Kurs damit, den Teilnehmern zu erklären, wie wichtig die Reptilien für Menschen sind. „Wenn wir keine Schlangen haben, dann verhungern wir buchstäblich.“ In Gegenden, in denen zu viele Schlangen und Raubvögel getötet wurden, herrsche nun eine Rattenplage. Die Nager fressen die Felder leer, graben frisch gesäte Maiskörner aus und können sechs Infektionskrankheiten verbreiten, Schlangen keine einzige.

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Im Zuckerrohrfeld müssen die Erntearbeiter damit rechnen, hin und wieder einer Schwarzen Mamba zu begegnen. Die Schlangen kriechen gerne am Rohr hoch, um sich zu sonnen.

Die Bauarbeiter wirken skeptisch. Nur sieben der rund sechzig in Eswatini heimischen Schlangenarten seien gefährlich, erklärt ihnen Thea. „Mit den anderen können wir leben. Sie erweisen uns wichtige Dienste.“ Deshalb gibt sie einfache Tipps, wie man den Kontakt vermeiden kann: keine Nahrungsmittel offen herumliegen lassen, Haus und Grundstück sauber halten. Und damit man nicht nachts von einer Moçambique-Speikobra gebissen wird: „Kauft eurer Freundin keine schicken Schuhe oder eine hübsche Handtasche. Kauft ihr ein Moskitonetz.“ Unter die Matratze geklemmt, hält es Schlangen davon ab, ins Bett zu kriechen. Die Moçambique-Speikobra bezeichnet Thea als ihre Nemesis. Die Schlange ist für mehr als siebzig Prozent der folgenschweren Bisse in Eswatini verantwortlich, sie beißt auch ohne Provokation, wenn ihre Opfer schlafen, in zitternde Zehen, rastlose Finger oder klappernde Augenlider. „Denkt an Batteriesäure“, erklärt Thea den Effekt. „Ihr werdet nicht sterben, aber verliert vielleicht einen Arm oder ein Bein.“

Das Gift von Schlangen ist eine komplexe Mischung aus verschiedenen Toxinen, die helfen sollen, Beute zu lähmen oder zu töten, aber auch die Verdauung fördern und der Verteidigung dienen. Je nach Art ist der toxische Cocktail anders zusammengesetzt und ruft unterschiedliche Symptome hervor. So zerstört das Gift der Moçambique-Speikobra Zellmembranen, was zur Nekrose führt; es kommt zu starken Schwellungen, und die Schmerzen sind extrem. Ihr Gift wirkt meist nur lokal, rund um die Eintrittswunde. Der Biss einer Schwarzen Mamba hingegen ist vergleichsweise schmerzlos, ihr überwiegend neurotoxisches Gift breitet sich über Blut- oder Lymphsystem im Körper aus, blockiert Nervenimpulse und lähmt die Atemmuskulatur. Schon nach zehn, fünfzehn Minuten zeigt es Wirkung, den Opfern wird schwindelig, sie spüren einen bitteren Geschmack im Mund, ein Kribbeln in den Lippen und der Zunge, sind durstig und schwitzen. Wird kein Gegengift verabreicht, kann nach wenigen Stunden der Tod eintreten.

Bewaffnet mit Haken und Zange

Fast nie hat es Thea mit Bissen einer Boomslang oder einer Kap-Vogelnatter zu tun. Diese beiden Arten sind extrem scheu, halten sich von Menschen fern. Ihre Giftmischungen wirken sich aufs Blut aus, zerstören Erythrozyten sowie Blutgefäße und beeinflussen die Gerinnung so, dass die Bissstelle blutet, blaue Flecken auftreten und auch innere Blutungen. Am Ende kommt es zu multiplem Organversagen und Koma. Im Falle der Boomslang gibt es ein Antiserum, nicht aber für die Kap-Vogelnatter. „Da blutet ihr zu Tode“, warnt Thea ihre Kursteilnehmer eindringlich. Drastisch, aber wirkungsvoll sind auch die Bilder von entstellten Bissopfern, die sie zeigt, damit Menschen den Giftschlangen fernbleiben. Weil das nicht immer möglich ist, demonstriert sie im Praxisteil, wie man eine Schlange sicher mit Haken und Zange fängt. Die Arbeiter der Straßenbaufirma müssen sich sichtlich überwinden, sie hörten von Kindesbeinen an unzählige Mythen und Legenden über die Reptilien. Einer fragt, ob es wirklich fliegende Schlangen gäbe. Die Expertin kennt alle diese Fragen und antwortet: Es gibt weder fliegende Schlangen noch eine mit sieben Köpfen und auch keine mit einer Feder auf dem Rücken.

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Die Mitarbeiter des „Simunye Country Club“ unterstützen das Nebenprojekt ihrer Chefin, selbst wenn das heißt, sich zwischendurch auch mal um die Schlangen zu kümmern und diese in frische Behälter zu setzen.

Ein anderer Kursteilnehmer will wissen, ob sie mit traditionellen Heilern zusammenarbeite. Die sind oft die erste Anlaufstelle für Bissopfer, zum einen, da es an Ärzten und daher an Alternativen mangelt. Zum anderen gelten Schlangenbisse häufig als eine Strafe der Ahnen oder ein Fluch. Dass diese Heiler vermeintliche Behandlungserfolge erzielen, lässt sich unter anderem damit erklären, dass schätzungsweise in der Hälfte der Fälle ungiftige Schlangen verantwortlich sind oder es nur zu einem „trockenen Biss“ kam. Im Königreich Eswatini wird meist auf Sibiba vertraut, ein Pulver aus getrockneter Schlange, Rinde und anderen Pflanzenteilen. Es wird geschluckt oder auf die Haut aufgetragen und bietet gegen das Schlangengift keinen Schutz. Welchen Schaden traditionelle Heiler mit einer falschen Behandlung nach einem Biss anrichten können, musste Thea erleben, als ein Kind an inneren Blutungen starb. Nicht das Gift der angreifenden Rauten-Krötenviper (Causus rhombeatus) war für den Tod verantwortlich, sondern ein ätzender Trunk, den ein Heiler dem Kind verabreicht hatte. Damit ein solches Unglück nie wieder passiert, arbeitet Thea mit Heilern zusammen, in der Hoffnung, dass diese kritische Fälle ins Krankenhaus schicken. Das erfordert Zeit und Fingerspitzengefühl: „Schlangen sind Teil unserer Kultur, unseres Glaubens. Man kann nicht einfach sagen: Stell dich nicht so an; man kann die Kultur nicht einfach entwurzeln.“

Auch das medizinische Personal ist oft hilflos

Doch nicht nur Heiler, auch das medizinische Personal ist oft hilflos. Wie sich Schlangenbisse behandeln lassen, ist an vielen afrikanischen Universitäten nur eine Randbemerkung auf dem Lehrplan. Deshalb hat Thea vor mehr als zehn Jahren ihre „Eswatini Antivenom Foundation“ gegründet. Die Stiftung veranstaltet jedes Jahr ein Symposion für Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger, bei dem Experten aus der ganzen Region Vorträge halten. Und man hat hilfreiche Anleitungen entwickelt, bei denen die medizinische Infrastruktur des Landes berücksichtigt wird: „Wir haben hier keine Labors. Also schreibt man in das Behandlungsprotokoll nicht rein: ,Macht Bluttest A, B und Z‘“, sagt Thea. Anhand der Symptome sollte erkennbar werden, um welche Art von Gift es sich handelt, dann müssen Ärzte sich nicht auf vage Beschreibungen der Schlangen verlassen. Außerdem habe man sich zum Ziel gesetzt, schädliche Praktiken auszumerzen, sagt Jonathan Pons, der die Stiftung medizinisch berät. Pons leitet die Good-Shepherd-Augenklinik in Siteki im Osten des Landes, nahe der Grenze zu Moçambique, und erklärt, was dort zum Erfolg geführt hat: dass Schlangenbiss-Patienten nicht mehr von Chirurgen behandelt werden, sondern von Allgemeinärzten. „Wir Chirurgen haben ein Temperament, das uns dazu verleitet, etwas mit dem Messer zu machen.“ Eine weitere Errungenschaft sei, dass nun das Gesundheitsministerium Krankenhäuser in Eswatini dazu verpflichtet, alle behandelten Schlangenbisse zu erfassen. Nur wenn man Zahlen und Fakten habe, könne man entsprechende Maßnahmen planen.

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Traditionelle Heiler nutzen obskure Pulver und Tränke, um Schlangenbisse zu behandeln. Damit bringen sie ihre Kunden oft noch mehr in Gefahr, und viele verharmlosen außerdem das Risiko, das von Giftschlangen

Eine andere Aufgabe der Stiftung ist im Moment jedoch fast noch wichtiger: Sie hilft aus, wenn Krankenhäuser kein Gegengift mehr auf Lager haben. Finanziert mit den Einnahmen der Schlangenkurse, dem Verkauf von Fangzubehör und privaten Spenden, übernimmt man eine Rolle, die eigentlich die Regierung erfüllen müsste, aber das Land wird seit Jahren von Dürren geplagt und steckt in finanzieller Not. Hinzu kommt, dass jede Ampulle Antiserum umgerechnet rund 94 Euro kostet. Das summiert sich, wenn für eine Schlangenbiss-Vergiftung bis zu 25 Ampullen nötig sind, um das Gift zu neutralisieren. Um die Versorgung landesweit sicherzustellen, wurde auch eine Art Antiserum-Bank-Netzwerk gegründet: Privatunternehmer aus Landwirtschaft und Industrie, die es sich leisten können, lagern Gegengift für den eigenen Bedarf und den ihrer Mitarbeiter ein. In Notfällen überlassen sie es Patienten in umliegenden Krankenhäusern, und die Stiftung ersetzt die verbrauchten Ampullen.

Die wenigsten Antiseren wurden in Studien getestet

Ein wichtiger Schritt, denn in den meisten Ländern, in denen Schlangen ein Problem sind, fehlt es an bezahlbaren und wirksamen Antiseren. Die Produktion ist aufwendig, kostspielig und hat sich seit ihrer Entwicklung vor mehr als 120 Jahren kaum verändert: Kleine Mengen an Schlangengift werden über längere Zeit in Pferde, Schafe, Esel oder Kamele injiziert, mit zunehmender Dosierung, damit die Tiere Antikörper produzieren, die sich dann aus ihrem Blutplasma gewinnen lassen. Ein solches Antiserum ist allerdings kein Universalmittel, sondern wirkt spezifisch – gegen das eine gespritzte Gift, das je nach Schlange variiert, manchmal sogar innerhalb einer Art je nach Region. Auch schwanken Qualität und Wirksamkeit stark, weil einheitliche Produktionsstandards und Kontrollen fehlen. Die wenigsten Antiseren wurden in klinischen Studien getestet, denn die kosten viel Zeit und Geld. „Gegengift ist gesetzlos“, formuliert es Thea. Es werden die falschen Produkte eingesetzt, und es sind minderwertige im Umlauf. Laut der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ erhalten vermutlich nur zwei Prozent der Betroffenen, die im südlichen Afrika von einer Giftschlange gebissen werden, ein qualitativ hochwertiges Mittel. Ärzte und Patienten haben deshalb ihr Vertrauen in Antiseren verloren. Die Nachfrage sinkt, die Preise steigen, es wird weniger produziert und nicht mehr in Forschung und Entwicklung investiert.

Das Misstrauen ließ sich auch in Eswatini nur langsam überwinden. Unbrauchbare Präparate wurden aus den Krankenhäusern entfernt, und die Ärzte verwenden jetzt ein polyvalentes Antiserum aus Südafrika. Das funktioniert bei Mamba, Puffotter und Gebänderter Kobra gut. Nur bei der Moçambique-Speikobra ist das Ergebnis unbefriedigend, unter anderem weil das Gift schnell wirkt, Blutgefäße und Gewebe zersetzt, was dann auch das Gegenmittel aufhält. Sonst hilft das Antiserum zuverlässig, aber es kommt immer wieder zu Engpässen, weil nicht genug produziert werden kann.

Hunderten das Leben retten

Selbst wenn das polyvalente Antiserum auf Lager ist, wird es nicht immer verabreicht: Man scheut die Nebenwirkungen, zum Beispiel einen lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock, der von den tierischen Proteinen im Serum ausgelöst wird. Häufiger sind jedoch Hautausschläge und Fieber als Reaktion auf Verunreinigungen, wie im Fall von Qiniso – ungefährlich, doch unerfahrene Ärzte schreckt es ab. Deshalb wünscht sich Thea Litschka-Koen ein Präparat, das weder Risiken birgt noch gekühlt werden muss, daher überall verabreicht werden kann. Dann müsste niemand mehr auf dem Weg zu den Krankenhäusern, die für Wiederbelebungsmaßnahmen ausgestattet sind, sterben. Wäre so ein Produkt leicht verfügbar wie eine Kopfschmerztablette, könnte man Hunderten das Leben retten.

Um diesem Ziel näherzukommen, bringt Thea alle Schlangen, die sie fängt, für eine Weile in Terrarien und Kisten in einem Schuppen am Ende ihres Gartens unter. Das Anwesen der Familie liegt mitten in einer Zuckerrohrplantage, dort sind Schlangen typische Besucher. Vor ein paar Tagen wurde Thea vom Gebell ihres Jack Russells aufgeweckt. Sie fand den aufgeregten Hund im Wohnzimmer – auf Augenhöhe mit einer Speikobra. „Wie Gott mich geschaffen hat“, also splitternackt, aber mit einer Schutzbrille ausgerüstet, fing Thea das Reptil ein und steckte es zu den anderen sechzig in ihrem Schuppen. Bevor die Schlangen wieder freigelassen werden, wird ihr Gift gemolken, um die Wirksamkeit von vier polyvalenten Antiseren zu testen. Damit soll eine klinische Studie vorbereitet werden, die auf eine gemeinsame Initiative der Antivenom Foundation und der Liverpool School of Tropical Medicine zurückgeht, finanziert durch den Wellcome Trust. Die britische Stiftung hat rund 94 Millionen Euro für wissenschaftliche Vorhaben versprochen, in denen existierende Antiseren verbessert und neue Therapien entwickelt werden sollen. Ziel des Projektes in Eswatini ist es, ein Antiserum zu bestimmen, das besonders effektiv darin ist, Schlangengift zu neutralisieren, und dieses in einer klinischen Studie zu testen. Thea hofft, bald ihre eigene Schlangenfarm eröffnen zu können, um einmal das Gift als Basis zu liefern für die Serumherstellung in ihrer Heimat.

Endlich mehr Aufmerksamkeit

Weltweit tüfteln Wissenschaftler an neuen Methoden, Schlangenbisse zu behandeln. Ein internationales Team um den Molekularbiologen Somasekar Seshagiri hat zum Beispiel die Toxine der Südasiatischen Kobra (Naja naja) anhand ihres Erbguts analysiert, was womöglich die biotechnologische Produktion eines Gegenmittels erlaubt. Die Entschlüsselung weiterer Schlangen-Genome könnte einmal zu einem universellen Serum führen, das gegen die Gifte verschiedener Arten wirkt. Andere Forscher arbeiten an Nanopartikeln, die, direkt in die Bisswunde injiziert, die Zerstörung des Gewebes stoppen beziehungsweise reduzieren sollen. Und gerade erst ist es Forschern in Utrecht gelungen, aus den Stammzellen verschiedener Schlangenarten einfache Miniaturen ihrer Giftdrüsen zu züchten. Diese sogenannten Organoide ermöglichen es Forschern erstmals, die Giftproduktion auf zellulärer Ebene zu untersuchen, was in Zukunft vielleicht die Produktion von Giften und passenden Antiseren erleichtert.

Dass den Schlangenbiss-Vergiftungen endlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, begrüßt Thea, es fehlt ihr jedoch an kurzfristigen Lösungen: „Während wir diese ganze Forschung betreiben, finanziert niemand die Menschen, die es jetzt am dringendsten benötigen.“ Jene Opfer von Schlangenbissen, die keine ärztliche Behandlung, kein Gegengift bekommen: „Die können nicht fünfzehn Jahre warten, bis die Wissenschaftler endlich mit einer Lösung daherkommen.“

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