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Hallo Deutschland!
Der Beitrag vom 1. Juli 2018 von Dr. Reinhard Door in der Apotheken Umschau passt zu unserem eigenen Engagement des Umwelt- und besonders des Insektenschutzes. Darum gebe ich ihn hier als Gastbeitrag-Zitat wieder:
Insekten
Ihre Zahl hat sich in den vergangenen Jahrzehnten drastisch reduziert. Das bedroht auch die Produktion vieler Lebensmittel.
Nur eine Zahl: 76. Doch seit sie in der Welt ist, steht bei Dr. Martin Sorg das Telefon nicht mehr still. Er und seine Mitstreiter vom Krefelder Entomologischen Verein werden mit Anfragen überhäuft. Um 76 Prozent sei die Biomasse der Insekten in geschützten Gebieten seit 1989 zurückgegangen, hatten die deutschen zusammen mit niederländischen Forschern und einem britischen Kollegen im vergangenen Oktober berichtet. Das Ergebnis ihrer 27-jährigen Feldstudie erregt immer noch Aufsehen.
Von wegen Hobbyforscher
Hobbyforscher, Laienverein, Feierabend-Wissenschaftler: Das mussten sich die Krefelder Insektenexperten anhören, als sie ihre Ergebnisse öffentlich machten. Die Attacken kamen von jenen, denen das Ergebnis nicht in den Kram passt. Wer mit Martin Sorg spricht, merkt sofort, dass nichts davon zutrifft. 96 sogenannte Malaise-Fallen hatten die Insektenkundler (Entomologen) aufgestellt, die meisten davon in Nordrhein-Westfalen. Malaise-Fallen sind zelt artige Konstruktionen, mit denen Insekten gefangen werden (siehe Seite 56). Fliegen diese gegen die Mittelwand des offenen Zelts, weichen sie nach oben hin aus, dem Licht folgend. Doch dort wartet nicht die Freiheit, sondern ein mit 80-prozentigem Alkohol gefüllter Sammelbehälter.
Alle Fallen hatten dasselbe Schnittmuster, die Himmelsrichtung wurde mit dem Kompass ausgerichtet, das Abtropfen des Alkohols vor dem Wiegen mit der Stoppuhr gemessen, alles war exakt normiert. Genauestens verglichen die Forscher auch weitere Daten: Wind, Temperatur, die Zusammensetzung der Vegetation und etliches mehr. An 26 Standorten sammelten sie in mehreren Jahren, an den restlichen Fallen nur ein Mal. 1503 Messungen flossen in die statistische Bewertung ein. Das Ergebnis zeigt einen schleichenden Verlust – bis zu ebenjenen 76 Prozent. Allerdings: „Die Ursachen lassen sich nicht aus der vergleichenden Bewertung bisher verfügbarer Daten ableiten“, so Sorg.
Kein Schutz in Schutzgebieten
Alle Standorte befanden sich in Naturschutzgebieten, Flora-Fauna-Habitaten, Wasserschutzgebieten oder anderweitig geschützten Arealen. Auf landwirtschaftlich genutzte Flächen könne man das Ergebnis nicht übertragen, sagte Joachim Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbands. Experten hingegen fragen: Wenn der Bestand an Kerbtieren, wie Insekten auch bezeichnet werden, schon in Schutzgebieten so stark zurückgeht, wie sieht es dann erst in nicht geschützten Bereichen aus? Hinzu kommt, was selbst in den meisten Naturschutzgebieten gilt: Man muss den Hund an der Leine führen und darf die Wege nicht verlassen, aber Landwirte dürfen dort bereits bestehende Felder weiterhin bewirtschaften, inklusive Spritzmittelgebrauch. Und natürlich halten sich Fluginsekten in ihrem Aktionsradius nicht an die Grenzen der Schutzzonen.
Alarmierende Zahlen
Kerbtiere sind eine sehr vielfältige Tiergruppe, weltweit stellen sie rund 70 Prozent aller Arten. In Deutschland leben etwa 33000 verschiedene Arten von Wildbienen, Käfern, Ameisen, Heuschrecken, Libellen und viele andere Gruppen. Dass etliche bedroht sind, ist nicht erst seit der Krefelder Studie bekannt. Unzählige lokale Untersuchungen belegen das, vor allem aber die deutschlandweiten Roten Listen, die das Bundesamt für Naturschutz seit 1977 herausgibt. Sie beziehen sich nicht auf die Gesamtbiomasse, sondern bewerten die Gefährdung der einzelnen Arten. Die Zahlen sind alarmierend: Im langfristigen Trend sind beispielsweise 63 Prozent der Tagfalter, 60 Prozent der Ameisen, 52 Prozent der Zikaden und 42 Prozent der Wildbienen in ihrem Bestand zurückgegangen.
358 Arten gelten als ausgestorben oder verschollen. Professorin Beate Jessel, Präsidentin der Bundesbehörde, nennt Beispiele: die Punktierte Ameisenzikade, die Große Pelzbiene, der Regensburger Gelbling, ein Tagfalter. Sie alle brauchen spezielle oder vielseitige Lebensräume.
Rund vier von fünf der wichtigsten Nahrungspflanzen unserer Erde sind auf die Bestäubung durch Tiere angewiesen, den Löwenanteil dabei haben Kerbtiere. „Damit ist ein Drittel der weltweiten Nahrungsproduktion von Insekten abhängig“, erklärt Professor Teja Tscharntke, Leiter der Abteilung Agrarökologie an der Universität Göttingen. In Deutschland gilt dies vor allem für den Obst-und Gemüseanbau sowie für Sonnenblumen.
Tscharntke hat das bei Kirschblüten untersucht: An mit Gaze bedeckten Zweigen, die Insekten von den Blüten abhielten, entstanden keine Kirschen. Aber auch die Qualität der Früchte kann leiden. Das zeigt der Agrarökologe bei Erdbeeren. Windbestäubung führt zu eher kleinen, schrumpeligen Früchten, Insektenbestäubung zu prallen roten Beeren. Am weitaus effektivsten sind generell Wildbienen. „Man kann also nicht allein auf Honigbienen setzen“, sagt Tscharntke.
Alles mit allem verbunden
Weltweit ist die Insektenbestäubung 200 bis 500 Milliarden Euro wert, in Deutschland 1,1 Milliarden Euro, haben Ökonomen ausgerechnet. Noch nicht einbezogen sind dabei andere Dienstleistungen: Räuberische Arten und parasitierende Schlupfwespen halten die Vermehrung vieler Schädlinge im Zaum. Insekten zersetzen Pflanzenreste und Tierkadaver, tragen zur Durchlüftung und Fruchtbarkeit des Bodens bei. Viele Vögel und andere Tiere ernähren sich von ihnen. In der Natur, wo alles mit allem zusammenhängt, mag ein einzelner Ausfall folgenlos bleiben. Doch niemand weiß, was passiert, wenn Arten massenweise verschwinden. Eine Folge deutet sich bereits heute an: Seit Ende der 90er-Jahre hat der Bestand jeder dritten deutschen Brutvogelart abgenommen. Auch wenn Stechmücken oder Stubenfliegen lästig sein können, wer möchte schon auf den Vogelgesang verzichten, der den Tag einläutet? Oder das Zirpen der Grillen oder den Flug bunter Schmetterlinge über eine blütenreiche Wiese? „Der stumme Frühling“, so der Titel eines Buches von 1962, rückt näher.
Dafür verantwortlich ist eine Vielzahl von Faktoren. Die Flächenversiegelung durch Industrie und Verkehr, der hohe Grundverbrauch durch eine rege Bautätigkeit. Aber auch die Vorliebe für artenarme Stein-und Pflastergärten. Schon ein bisschen Wildnis statt 200 Quadratmeter Golfrasen, ein Blütenangebot möglichst das ganze Sommerhalbjahr über könnte helfen, vielleicht auch das ein oder andere Insektenhotel.
Bei der Ursachensuche führt letztlich allerdings kein Weg an jener Branche vorbei, die in Deutschland 52 Prozent der Fläche bewirtschaftet. So hat sich zum Beispiel die landwirtschaftliche Praxis auf Wiesen geändert: Es wird intensiver gedüngt, früher im Jahr und häufiger gemäht. Schlechte Karten für Insekten, was Nistmöglichkeiten und Nahrungsangebot betrifft. „Früher hat man meist zweimal jährlich gemäht“, sagt Professor Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle. „Heute weiß manches Kind nicht mehr, was Heu ist.“
Reduzierung statt Verzicht
Schäden verursachen auch die Spritzmittel. Drei der insgesamt 270 Wirkstoffe hat die EU jetzt verboten. Das viel zitierte Glyphosat zu verbannen würde indes nicht alle Probleme lösen. „Wichtig ist, dass insgesamt weniger Pestizide eingesetzt werden“, fordert Beate Jessel.
Ein völliger Verzicht darauf wäre kaum möglich, meinen die meisten Experten. Eine Reduzierung hingegen schon. Zum Beispiel, indem Bau ern erst zur Spritze greifen, wenn eine gewisse Schadschwelle überschritten ist, die zum Beispiel mit einer Falle gemessen wird. Beim Rapsglanzkäfer etwa wird das vielerorts bereits praktiziert, berichtet Josef Settele. Tendenziell bedeutsamer sei aber die Größenzunahme der Ackerflächen, meint Teja Tscharntke. Dass dies die Artenvielfalt imVergleich zu kleinen Feldern mindert, hat er in einer Studie mit 230 Versuchsflächen belegt. Das liegt zum einen an fehlenden Hecken, Randstreifen und Säumen, zum anderen wahrscheinlich am fehlenden Austausch zwischen Insektenbeständen
und damit einer geringeren genetischen Vielfalt.
Gescheitertes „Greening“?
Letzten Endes hilft es aber nicht weiter, mit dem Finger auf die Bauern zu zeigen. Denn ob weniger Gifteinsatz oder kleinere Flächen, beides mindert den wirtschaftlichen Ertrag. Und es bleibt fraglich, ob die Verbraucher bereit wären, höhere Preise zu akzeptieren.
Mit dem sogenannten Greening hat die EU versucht, die Artenvielfalt zu fördern. Geholfen hat es kaum. So werden auf den „ökologischen Vorrangfläehen“ gut zur Hälfte Zwischensaaten angebaut, die nachweislich kaum einen Effekt auf die Insektenwelt haben. Ackersäume, Blühstreifen oder Hecken tragen mit weniger als einem Prozent zur Quote bei. Das liegt auch daran, dass solche Aktionen für Landwirte mit erheblichem bürokratischen Aufwand verbunden sind und dass sie Sanktionen zu befürchten haben, wenn ihnen bei der Flächenberechnung Fehler unterlaufen.
„Das Greening ist gescheitert und sollte abgeschafft werden“, urteilt Beate Jessel. Mit den dafür jährlich aufgewendeten 1,5 Milliarden Euro würde Jessel lieber Bauern unterstützen, die naturverträglich handeln, etwa indem sie landwirtschaftliche Flächen in sogenannten Natura-2000-Gebieten im Sinne des Naturschutzes nutzen. „Wir wollen den Bauern kein Geld wegnehmen“, betont Jessel. „Aber der Grundsatz muss lauten: öffentliches Geld für öffentliche Leistungen.“
In manchen Regionen Chinas muss Obst bereits mit feinen Pinseln von Hand bestäubt werden. Wissenschaftler beschäftigen sich mit dem Einsatz von Drohnen und Mikrorobotern, die den Job übernehmen könnten. In den USA kutschieren Trucks mehr als zwei Millionen Bienenvölker quer durchs Land, von Mandelplantagen in Kalifornien zur Apfelblüte nach Washington, zurück an die Ostküste zu Blaubeeren und Kürbissen und schließlich zur Überwinterung nach Florida. Ein Reise von weit mehr als 10000 Kilometern wegen riesiger Anbauflächen, vor allem aber mangels natürlicher Bestäuber.
Noch ist Zeit, all das in Deutschland zu verhindern.